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ARD-aktuell und der Tötungsfall in Offenburg


Kai Gniffke – Foto NDR


Warum die „20-Uhr-Tagesschau“ nicht über den Mordfall berichtet hat

Die tödliche Messerattacke durch einen Asylbewerber aus Somalia auf den Mediziner Joachim T. in Offenburg, am 17. August 2018, hat viele Menschen erschüttert. Ein 26-Jähriger aus Somalia soll den Mediziner in Offenburg getötet und eine Mitarbeiterin verletzt haben – vor den Augen der zehnjährigen Tochter des Arztes. Das Motiv ist noch unklar. Der Fall hatte bundesweit ein großes Presseecho ausgelöst und wurde insbesondere in den sozialen Medien intensiv diskutiert. Warum aber berichtete die „20-Uhr-Tagesschau“ nicht über den Fall? Die Programme von „WELT“, „ntv“ und „euronews“ haben am gleichen Tag berichtet. Kai Gniffke, Chefredakteur von „ARD aktuell“, bezog dazu im Blog ARD-aktuell am 18.8.2018 Stellung. An Grundsätze sollte man sich halten. Die „Tagesschau“, Deutschlands meistgesehene TV-Nachrichtensendung, mit durchschnittlich über 10 Millionen Zuschauern um 20 Uhr in 11 Programmen, würde ohne solche Regeln in der Masse an News untergehen. Einer dieser Grundsätze besagt, dass die „Tagesschau“ nicht über einzelne Kriminalfälle berichtet wird, dies sei „gesellschaftlich, national und international relevanten Ereignissen“ vorbehalten. Das schrieb „Tagesschau“-Chefredakteur Kai Gniffke schon im Dezember 2016, nachdem die ARD-Nachrichtensendung massiv dafür kritisiert wurde, nicht über den Mord an einer Studentin in Freiburg berichtet zu haben, der – wie später das Gericht feststellte – von einem afghanischen Flüchtling verübt worden war.

An diesem Samstag sah sich Kai Gniffke erneut genötigt, auf Kritik einzugehen. Bei ARD-aktuell waren „auf verschiedenen Wegen Publikumsreaktionen“ eingegangen. Und wieder entgegnete der Chefredakteur im „Tagesschau“-Blog: „Wir berichten in der „Tagesschau“ über Dinge von gesellschaftlicher, nationaler oder internationaler Relevanz“, Dinge, die für die „Mehrzahl der rund 83 Millionen Deutschen von Bedeutung sind“. Sein Fazit: „Dabei können wir nicht über jeden Mordfall berichten. Ich glaube, da würde auch die Mehrzahl unserer Kritiker noch mitgehen.“ Strittig sei aber auch die Frage, „ob wir darüber berichten sollten, wenn es sich beim Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt“.

Auch darüber sollte berichtet werden, so Gniffke, aber nur, „wenn Asylbewerber überproportional an Tötungsdelikten beteiligt wären. Das ist, soweit wir es recherchieren können, nicht der Fall. Deshalb haben wir uns gegen die Berichterstattung entschieden.“ „So, und nun kommt ein Satz, der mir ganz wichtig ist“, schreibt Gniffke weiter. „Es haben all diejenigen Recht, die sagen, dass der Arzt heute noch leben würde, wenn dieser Flüchtling nicht ins Land gekommen wäre. Stimmt, ganz klar. Aber ich sage ebenso deutlich, dass auch das für mich noch keine Begründung ist, über einzelne Kriminalfälle in der „Tagesschau“ zu berichten, weil das gilt, was ich oben beschrieben habe.“ Und weiter: „Ausdrücklich erkenne ich an, dass es absolut legitim ist, uns danach zu fragen. Wer uns wegen unserer Haltung beim Fall Offenburg kritisiert, ist kein Rassist.“

Mehr als 140 Kommentare finden sich unter dem Beitrag, viele von ihnen loben Gniffke ausdrücklich für die „gute und abgewogene“ Darstellung und die offene Art, mit Kritik umzugehen. Die wenigen kritischen Stimmen verweisen unter anderem auf den Mordfall Maria L. aus Freiburg 2016, der nach anfänglichem Zögern dann auch von ARD und ZDF aufgegriffen wurde. Eine andere Leserin schreibt: „Es ist nicht der Einzelfall, über den berichtet werden muss. Aber viele Einzelfälle (Morde) durch Asylbewerber – davon ist zu berichten, und da gibt es schon eine lange Liste.“

Es bleibt festzuhalten, dass die Auswahl von Nachrichten bei ARD-aktuell in etlichen Fällen inkonsequent ist. Über, auch kleinere, Brände in Nordamerika wird im Film berichtet und ebenso über Überschwemmungen in Asien (immer mit spektakulären Bildern), obwohl es keinen Bezug zu Deutschland gibt. Dafür hat die ARD-Tagesschau über einen Fernbus-Unfall (auf dem Weg von Stockholm nach Berlin) in Mecklenburg-Vorpommern im Film berichtet. Der Bus war in einen Graben gekippt (die Ursache ist noch unbekannt) – es gab Verletzte, aber keine Toten. Diese Nachricht ist, bei kritischer Betrachtung, nur eine Meldung von regionaler Bedeutung – aber kein nationales relevantes Ereignis. Weshalb auch die Medien in Nordostdeutschland ausführlich berichtet haben. Und so hat die „20-Uhr-Tagesschau“ ein „Relevanz-Problem“ und ein Zeit-Problem: Warum wird die Sendezeit nicht erweitert – um wenigsten 5 Minuten, so wie es Politiker, Medienexperten und Zuschauer fordern. In 15 Minuten ist es nicht möglich, umfassend über die relevanten Themen des Tages zu informieren. ARD und ZDF, sollten die Sendedauer der Haupt-Nachrichten um 20 bzw. 19 Uhr erweitern. Im Interesse der Zuschauer und des Sendeauftrages.

Erklärung von Kai Gniffke (ARD) im Wortlaut:

„Uns erreichen auf verschiedenen Wegen Publikumsreaktionen, die nicht nachvollziehen können, warum wir über die tödliche Attacke auf einen Arzt in Offenburg nicht in der Tagesschau berichtet haben. Für all diejenigen, die es nicht erfahren haben: Ein somalischer Asylbewerber hat offenbar in Offenburg einen 51-jährigen Hausarzt aus ungeklärten Motiven mit einem Messer erstochen. Warum hatten wir das nicht in der Hauptausgabe der Tagesschau? Lassen Sie mich das Wichtigste vorwegschicken: Die Tötung eines Menschen ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Mein Mitgefühl gilt der Familie und dem Umfeld des 51-jährigen Arztes. Und zugleich packt mich die Wut, wenn ich lese, was in Offenburg passiert ist. Ja, ich verabscheue die Tat. Der Täter muss mit aller Konsequenz zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn ich nun darüber schreibe, wie die Tagesschau einen solchen Fall bewertet, habe ich zugleich immer die Angehörigen des Opfers im Kopf, die möglicherweise lesen, wie der Tod ihres geliebten Menschen einzuordnen ist. Ich hoffe, ich kann diese Einordnung leisten, ohne zynisch zu klingen. Wir berichten in der Tagesschau über Dinge von gesellschaftlicher, nationaler oder internationaler Relevanz. Dinge, die für die Mehrzahl der rund 83 Millionen Deutschen von Bedeutung sind. Dabei können wir nicht über jeden Mordfall berichten. Ich glaube, da würde wohl auch die Mehrzahl unserer Kritiker noch mitgehen. Wo die Meinungen auseinander gehen, ist die Frage, ob wir darüber berichten sollten, wenn es sich beim Tatverdächtigen um einen Asylbewerber handelt. Aus meiner Sicht sollten wir das dann tun, wenn Asylbewerber überproportional an Tötungsdelikten beteiligt wären. Das ist, soweit wir es recherchieren können, nicht der Fall. Deshalb haben wir uns gegen die Berichterstattung entschieden. So, und nun kommt ein Satz, der mir ganz wichtig ist. Es haben all diejenigen Recht, die sagen, dass der Arzt heute noch leben würde, wenn dieser Flüchtling nicht ins Land gekommen wäre. Stimmt, ganz klar. Aber ich sage ebenso deutlich, dass auch das für mich noch keine Begründung ist, über einzelne Kriminalfälle in der Tagesschau zu berichten, weil das gilt, was ich oben beschrieben habe. Ausdrücklich erkenne ich an, dass es absolut legitim ist, uns danach zu fragen. Wer uns wegen unserer Haltung beim Fall Offenburg kritisiert, ist kein Rassist. Dabei lasse ich jetzt mal die Zuschriften außer Acht, die uns vorwerfen, statt über Offenburg über den Tod einer „farbigen“ Musikerin namens Aretha Franklin berichtet zu haben. Auch wenn wir bei Vorfällen wie in Offenburg traurig oder wütend sind, versuchen wir weiterhin nach journalistischen und ethischen Prinzipien unabhängig und unvoreingenommen zu berichten. Das ist das, was das Publikum von uns zu Recht erwarten darf.“

Dr. Kai Gniffke  Erster Chefredakteur ARD-aktuell Hamburg, 18. August 2018 16:25 Uhr 

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