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Der HR will sein Kultur-Angebot reduzieren und beim Fernsehen kooperieren


HR-Studio Darmstadt – Foto hr.de


Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Sendeauftrag (Information, Kultur, Bildung, Beratung, Unterhaltung und Sport) und dafür bekommt er Rundfunkgebühren. Mit Werbeeinnahmen, Zinserlösen und weiteren Betriebseinnahmen stehen den 13 ör Sendeanstalten (mit Arte und Deutsche Welle/Steuerfinanzierung) jährlich rund 10 Milliarden Euro zur Verfügung – Weltspitze. Für diese fürstliche Summe dürfen die Hörer und Zuschauer in Deutschland auch das beste Programmangebot erwarten. Aber, nur theoretisch – denn seit unzähligen Jahren wird an allen Ecken und Kanten in Programm und Betrieb gespart, denn die Gelder reichen (angeblich) nicht aus. Neben den Mini-Anstalten in Bremen und Saarbrücken, gilt der mittelgroße Hessische Rundfunk (HR) als finanzielles Sorgenkind im ARD-Verbund. Und im Zuge einer möglichen Gebührenerhöhung fordern die Sendeanstalten zusätzlich 0,75 Mrd. Euro pro Jahr.

Mitte Dezember 2018 wurde der Haushaltsplan des HR für 2019 vom Rundfunkrat abgenommen. Den Erträgen in Höhe von 511 Millionen Euro stehen Aufwendungen in Höhe von 604 Millionen Euro gegenüber. Unterm Strich also ein handelsrechtlicher Fehlbetrag in Höhe von 93 Millionen Euro. „Die anhaltende Niedrigzinsphase, der rechtliche Rahmen zur Bilanzierung und der seit 2009 ausbleibende Inflationsausgleich verschärfen unsere finanzielle Situation und überlagern unsere enormen Sparleistungen“, fasst Intendant Manfred Krupp die Situation knapp zusammen. Nun im Juli 2019 steht das erste Opfer der „HR-Rotstiftpolitik“ fest – es ist das Kulturprogramm hr2.

Für die Mitarbeiter war es eine „Schocknachricht“, als die Geschäftsleitung die „Umbaupläne“ bekannt gab – aus der Kulturwelle hr2 vom 1. April nächsten Jahres an eine (Musik-) Klassikwelle machen zu wollen. Vertreter der Kulturszene reagierten mit Unverständnis auf die Pläne. Der HR sprach dagegen von einer gut vorbereiteten Entscheidung und einem Informationsprozess, bei dem die Mitarbeiter „von Anfang an mitgenommen“ worden seien. Nach Darstellung von Christoph Hammerschmidt, Leiter der Kommunikationsabteilung des Senders, bedeutet die Umstellung keine Sparmaßnahme, sondern ist eine Antwort auf den digitalen Wandel in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, der schwindende Nutzung und Überalterung der Hörer (im Schnitt über 60 Jahre) vorgehalten werde.

Klassische Musik wird schon jetzt viel ausgestrahlt, doch im Wechsel mit anspruchsvollen Wortsendungen. Neben der Sendung „Der Tag“ zu einem täglich anderen Thema, sind Gedichte und Lesungen von Romanen zu hören, eine Kulturpresseschau sowie Magazine wie „Doppelkopf“ und „Das Kulturcafé“. Allerdings findet das hr2-Programm in seiner heutigen Form immer weniger Zuspruch. Allein von 2017 bis 2019 ist laut Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse die Zahl der Radiohörer, die das Programm während eines Werktags zwischen 5 und 24 Uhr mindestens einmal eingeschaltet haben, von 148.000 auf 117.000 gesunken, ein Rückgang um ein Fünftel. Das sind Zahlen für ganz Deutschland, in Hessen fiel der Rückgang sogar noch höher aus. Zum Vergleich: Die drei Programme vom Deutschlandradio kommen auf etwas mehr als 500.000 Hörer pro Tag. Künftig soll sich das hr2-Angebot auf „anspruchsvoll präsentierte klassische Musik und attraktive Inhalte aus und für Hessen mit klarem Blick auf das hessische Musikleben“ konzentrieren und so den Bedürfnissen von Hörerinnen und Hörern folgen, wie der hr-Sprecher, Christoph Hammerschmidt, ankündigt. Im Klartext: weniger Berichterstattung, Wegfall von Magazinen und keine anderen Kulturinhalte mehr – außer eben klassischer Musik. Und damit wird aus dem Kulturprogramm eine Musikwelle, wie sie auch von privaten Anbietern bereits ausgestrahlt wird.

Anspruchsvolle Sendungen wie „Kulturfrühstück“, „Der Tag“ oder „Doppelkopf“ werden in der bisherigen Form dann nicht mehr stattfinden. Eine Projektgruppe soll erst in den nächsten Monaten die konkrete Ausgestaltung übernehmen. Zwar sollen Teile des bisherigen Programms in andere Programme (z.B. hr info) oder in die digitale Welt verlagert werden, dennoch ist die öffentliche Kritik von Menschen aus der Kulturszene schon jetzt groß. „Es wird dort ja nicht nur über Kultur berichtet, sondern auch Kultur generiert, etwa in Zusammenhang mit dem Deutschen Jazz- oder dem Rheingau-Musikfestival“, sagt ein dem Sender nahestehender Beobachter. Der verweist außerdem darauf, dass derzeit neben 20 festen Mitarbeitern auch rund 100 freie Mitarbeiter für hr2 Kultur arbeiten. Und wie reagierten die HR-Mitarbeiter? Die sollen die Vorschläge laut offizieller Version offen aufgenommen haben. Ein HR-Insider, der nicht genannt werden möchte, sagt etwas anderes: „Der Unmut in der Redaktion war unübersehbar, der Sender soll zu einer reinen Abspielstation von Musik abgewickelt werden.“ Man habe „bewusst die Ferienzeit gewählt“, um die Pläne zu verkünden. Auf Sitzungen der Leitungsebene seien Aussagen gefallen‚ wie die, dass da ja vielleicht auch jemand früher gehen wollen könne (taz 24.7.2019). Und ein anderer Mitarbeiter ergänzt: „Die Geschäftsleitung ist sich offenbar eh einig, Führungskräfte und ältere Festangestellte müssen sich eh keine Sorgen machen. Aber natürlich war und ist viel Gespräch unter uns Freien“. Soziale Härten für feste wie freie Mitarbeiter wolle man vermeiden. „Klar ist aber: Es wird auch Dinge geben, die es nicht mehr geben wird“, so Hörfunkdirektor Heinz Sommer.

Ob der Umbau aber das bisherige Publikum von hr2 Kultur mit einem Musikabspielprogramm zufriedenstellt, ist doch sehr fraglich. Denn die Qualität des Angebots besteht ja bislang eben darin, dass Hintergründe zu bestimmten Werken oder Aufnahmen besprochen oder auch Lesungen und weitere Kultursendungen übertragen werden. Man erfährt Neues, statt Altbekanntes serviert zu bekommen. Letztlich seien die Umbaupläne für hr2 in eine Gesamtstrategie eingebettet, heißt es aus der HR-Geschäftsleitung, um sich „zukunftsfähig“ aufzustellen. Ziel des Veränderungsprozesses sei es, digitale Produkte grundsätzlich zu stärken und für alle Zielgruppen auszubauen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden dabei Formate für Menschen unter 35 Jahren. „Wir wollen uns lieber auf wenige, aber erfolgversprechende Produkte und Themenbereiche konzentrieren.“ Die Veränderungen betreffen also das ganze Haus HR – und werden bei den verunsicherten Mitarbeitern auch in Zukunft für reichlich Zündstoff sorgen.

Auch beim Fernsehen wird neu gedacht. Da man die angepeilten jüngeren Zielgruppen zunehmend on demand statt im klassischen Fernsehen erreicht, wolle man neue Produkte konsequent für die non-lineare Ausspielung entwickeln. „Weg von der linearen Fernseh- hin zu einer Videostrategie“, erläutert die Fernsehdirektorin. Das Fernsehen wäre für solche Formate dann nur noch eine Zweitverwertungs-Bühne. Um bei der linearen Verbreitung Geld zu sparen, will man zum Einen auf eine zeitnahe Abschaltung der SD-Verbreitung drängen, zum Anderen möchte man mit anderen ARD-Häusern über mögliche Kooperationen reden. Der HR bringt hier eine „Zusammenschaltung von Sendestrecken“ zu Randzeiten ins Gespräch. Tatsächlich stellt sich ja schon lange die Frage, ob jedes Dritte Programm ein 24-Stunden-Programm mit Inhalten, die über weite Strecken gar nicht regional sind, bestreiten und dieses deutschlandweit verbreiten muss. In diesem Bereich befindet sich ein großen Einsparpotential bei allen (ARD-) Sendeanstalten. Die Antwort auf leere Kassen kann daher auch in Programm-Kooperationen – bundesweite Gemeinschaftsprogramme bei Hörfunk und Fernsehen (Drittes) – bestehen.

Der Hessische Rundfunk, aber auch die anderen 12 ör Sendeanstalten, sind (wohl) mittlerweile zu der Erkenntnis gelangt, dass die gegenwärtigen Probleme nicht mit noch mehr Geld alleine zu lösen sind. Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der öffentlichen Auseinandersetzung um seine Daseinsberechtigung, den Sendeauftrag, mögliche Gebührenerhöhungen, digitalen Wandel und ein Publikum, das im Schnitt über 50, ja über 60 Jahre alt ist, nicht ins Hintertreffen gerät, muss er strukturelle Reformen auf den Weg bringen. An der Qualität der Programme darf aber nicht gespart werden – ganz im Gegenteil. Andernfalls würde der ÖRR sein Gesicht verlieren, sein Sendeauftrag wäre dann nur eine schöne Überschrift und ARD/ZDF hätten nur noch potemkinsche Funkhäuser vorzuzeigen.

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