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Hans-Jürgen Kupka

Der ÖRR „Beitragsservice“ und das Kreuz mit den Gebühren

Das Deutschland in puncto Breitband-Digitalisierung kein (Welt-) Meister ist, ist bekannt.

Beitragsservice in Köln – Foto dlf.de


Nun traf es ausgerechnet den „Beitragsservice“ in Köln, der den Kontakt zu den 46 Millionen Beitragszahlern „zukunftsorientiert gestalten“ möchte. Die diesjährige Jahrespressekonferenz (PK) für die Erhebung und Verarbeitung des Rundfunkbeitrags zuständigen „Beitragsservice“ fand wegen Corona erstmals in Online-Form statt und stürzte gleich nach der Begrüßung vollends ab. Erst nach einer halben Stunde konnte die PK fortgesetzt werden. Das Team um den neuen Geschäftsführer des „Beitragsservice“, den zum 1. April vom WDR gekommenen Finanzexperten Michael Krüßel, ließ sich aber durch die Panne nicht aus der Ruhe bringen und so wurden einige Daten vorgetragen. Für Krüßel ist der „Service“ die „spannendste Gemeinschaftseinrichtung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR)“! Gegenüber dem Jahr 2018 sind die Gebührenerträge um 210,5 Mio. Euro von 7,857,6 Mrd. auf 8.068,1 Mrd. Euro im Jahr 2019 gestiegen. Von der Summe erhielt die ARD 5.676,8 Mrd., das ZDF 2.008,6 Mrd. und das Deutschlandradio (3 DLF-Programme) rd. 230,5 Mio. Euro. Die 14 Landesmedienanstalten (LMA) der Länder (für Medienförderung und Zulassung/Aufsicht der privat-kommerz. Rundfunkanbieter) erhielten im Jahr 2019 152,2 Mio Euro (2018 waren es 151 Mio).


Der Grund für den Anstieg der Gebührenerträge um 210,5 Mio. Euro ist der Meldedatenabgleich aus dem Jahr 2018. Die Zahl der zum Rund­funk­beitrag an­ge­meldeten Wohnungen stieg im Jahr 2019 auf 39,9 Mio. (Plus 0,9 %). Insgesamt meldete der „Beitrags­service“ 2019 rund 2 Mio. Wohnungen neu zum Rund­funk­beitrag an, davon knapp 480.000 in­folge des bundes­weiten Melde­daten­ab­gleichs. Seit Beginn des Melde­daten­abgleichs wurden damit insgesamt rund 1,1 Mio. Wohnungen neu an­ge­meldet. Davon werden voraus­sicht­lich rund 0,5 Mio. Wohnungen perspek­tivisch im Bestand des Beitrags­service ver­bleiben, schätzt Michael Krüßel, Geschäfts­führer des „Beitrags­service“: „Ohne den bundes­weiten Melde­daten­ab­gleich würde für diese Haus­halte zu Un­recht kein Rund­funk­beitrag ent­richtet. Dies zeigt deut­lich die beitrags­stabilisierende Wirkung des Melde­daten­ab­gleichs.“ Ebenfalls gestiegen ist 2019 die Zahl der Betriebsstätten um 1,7 Prozent auf 3.956.095.


Die Zahl der Personen, die aus sozialen Gründen von der Rund­funk­beitrags­pflicht be­freit waren, ist im Berichts­jahr vor­über­gehend ge­sunken. Sie lag zum 31. Dezember 2019 bei rund 2,7 Mio. – rund 12,3 % weniger als ein Jahr davor. Ursache hierfür waren aus­ge­laufene Befreiungen in der zweiten Jahres­hälfte. Da diese jedoch rück­wirkend ver­längert werden können, sofern die Voraus­setzungen er­füllt sind, werden die Befreiungs­zahlen im laufenden Jahr wieder steigen und bis zum Jahres­ende voraus­sicht­lich wieder das Niveau von 2018 er­reichen. Die Corona-Pandemie könnte aller­dings zu einem An­stieg der Befreiungen auf­grund des Bezugs von Sozial­geld oder Arbeits­losen­geld II (ALG II) führen. Empfänger/innen von ALG II und Sozial­geld machen aktuell zwei Drittel der Befreiten aus.


Neu geregelt wurde im Berichts­jahr die Mög­lich­keit der Beitrags­befreiung für Inhaber/innen von Neben­wohnungen. Nach dem ent­sprechen­den Urteil des Bundes­ver­fassungs­gerichts (BVG) vom 18. Juli 2018 gingen bereits im Jahr 2018 rund 233.500 Vor­gänge zur Befreiung für Neben­wohnungen beim Beitrags­service ein, 2019 kamen knapp 162.000 Vor­gänge hin­zu. Die Zahl der Personen, die von der Rund­funkbeitrags­pflicht für ihre Neben­wohnung be­freit werden konnte, stieg bis Ende 2019 auf rund 131.000. Zum 1. November 2019 änderte der Beitrags­service das Befreiungs­ver­fahren für Inhaber/innen von Neben­wohnungen. Seit­dem können auch Ehe­partner/innen und ein­ge­tragene Lebens­partner/innen eine Beitrags­befreiung für ihre Neben­wohnung be­antragen, wenn sie neben der gemein­samen Haupt­wohnung zu­sätz­lich eine Neben­wohnung be­wohnen. Mit dem ge­änder­ten Be­freiungs­ver­fahren trägt der Beitrags­service dem 23. Rund­funk­ände­rungs­staats­ver­trag (RÄStV) Rechnung. Diesen haben die Regierungs­chefs/innen der Bundes­länder Ende Oktober 2019 unter­zeichnet.


Ein Problem für den „Service“ ist die Weigerung von Rundfunkteilnehmern, die Gebühr zu zahlen. Wenn Beitragspflichtige nicht zahlen, leitet der „Beitragsservice“ ein mehrstufiges, schriftliches Mahnverfahren ein. Im ersten Schritt wird an die ausstehende Zahlung erinnert. Bleibt diese innerhalb einer bestimmten Frist weiterhin aus, wird ein Festsetzungsbescheid verschickt. Dabei handelt es sich um einen vollstreckbaren Titel. In diesem sind die offenen Forderungen nebst Säumniszuschlag aufgeführt. Beitragspflichtige, die zum wiederholten Mal zahlungssäumig sind, erhalten den Festsetzungsbescheid nebst Säumniszuschlag ohne vorherige Zahlungserinnerung. Gegen einen Festsetzungsbescheid kann der/die Beitragspflichtige innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist Widerspruch einlegen. Ist der Widerspruch erfolglos und geht weiterhin keine Zahlung ein, weist der „Beitragsservice“ – nach einer erneuten Frist – per Mahnung auf die drohende Vollstreckung hin. Beitragskonten mit Mahnstatus zum 31.12.2019 befanden sich rund 3,57 Mio. der insgesamt rund 46 Mio. Beitragskonten in einer Mahnstufe oder in der Vollstreckung (2018: rund 3,5 Mio.). Die genaue Verteilung sieht wie folgt aus: 1. Zahlungserinnerung 416.297, 2. Festsetzungsbescheid 1.368.038, 3. Mahnung 607.741 und 4. Vollstreckung 1.180.542 – insgesamt also 3.572.618 Beitragskonten. Wie hoch der Anteil der tatsächlichen Vollstreckungen allerdings ist, wurde nicht mitgeteilt. Nicht alle Vollstreckungsersuchungen vom „Service“ werden anerkannt.


Etwa gleich geblieben sind die eigenen Kosten des „Beitragsservice“ mit 174,6 Mio. Euro (2,16 % der Gesamterträge), nach 173,4 Mio. Euro im Jahr 2018. Pro Beitragskonto entstehen Kosten von 3,79 Euro im Jahr. Die eigenen Personal-Stellen wurden von 962 auf 950 reduziert. Im Jahr 2015 hatte der zentrale „Service“ noch 1.046 Planstellen. Die Personal-Kosten stiegen von 2018 auf 2019 von 85,938 Mio. auf 88,991 Mio. Euro. Zu diesen Daten (Personal und Kosten), muss aber noch der dezentrale „Service“ in den 9 (ARD-) Landesrundfunkanstalten hinzugerechnet werden. Die Gesamtkosten für den Gebühreneinzug liegen danach weit über 200 Mio. Euro im Jahr.


Auf die drängende Frage, ob und wie die Corona-Pandemie die Zahlen der Befreiungen in Zukunft verändern wird, konnte nicht beantwortet werden. Dass es Auswirkungen gebe – mehr Befreiungen etwa oder weniger Betriebsstätten –, sei anzunehmen, sagte Bernd Roßkopf, Leiter der Stabsabteilung Kundenmanagement und Berichtswesen. Diese kämen aber erst im Laufe des nächsten Jahres beim „Beitragsservice“ an, weil etwa der Empfang sozialer Leistungen die Voraussetzung für eine Beitragsbefreiung von Privatpersonen darstelle. Betriebsstätten wiederum müssten erst drei Monate geschlossen sein, um freigestellt werden zu können. Es gebe zwar bereits entsprechende Anfragen im niedrigen fünfstelligen Bereich, aber für eine Prognose über die Auswirkungen der Corona-Pandemie sei es noch zu früh.


Geschäftsführer Krüßel wiederum wies darauf hin, dass es an der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) sei, bei signifikanten Ertragsrückgängen aufgrund der Corona-Pandemie „zu prüfen, ob das, was an Beiträgen bei den Rundfunkanstalten ankommt, tatsächlich noch auskömmlich ist, um den Auftrag zu erfüllen“. Ansonsten müsste die KEF der Politik wohl höhere Beiträge vorschlagen. Zunächst einmal steht aber zu Beginn des kommenden Jahres eine Erhöhung um 86 Cent an, die freilich noch von den 16 Länderparlamenten ratifiziert werden muss und nicht unumstritten ist. Erst danach werde man den neuen Beitrag in die Systeme eingeben. Allerdings brauche der „Beitragsservice“ aufgrund des Verwaltungsaufwands etwa eine Vorlaufzeit von drei Monaten. Sollte der neue Beitrag erst spät in diesem Jahr (Herbst/Winter) von den Parlamenten bewilligt werden, müsste er eventuell rückwirkend erhoben werden. Am 17. Juni hatten die 16 Länderchefs auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin den Änderungs-Staatsvertrag für die Gebühren-Erhöhung unterzeichnet. Aber nur wenn alle 16 Landtage im Herbst zustimmen würden, steigt der Beitrag von 17,50 auf 18,36 Euro pro Monat. In Sachsen-Anhalt gibt es aktuell keine Mehrheit für eine Zustimmung. Die Koalitionsregierung von MP Haseloff ist sich nicht einig. Neben CDU und AfD lehnt auch die Linkspartei eine höhere Gebühr ab. Die Regierungspartner Grüne sind für eine Erhöhung und die SPD kann sich nicht festlegen. Auch in Thüringen und Sachsen ist eine Mehrheit für eine Erhöhung fraglich. Auch in der Bevölkerung wächst die Ablehnung gegen eine Erhöhung massiv. Der „Beitragsservice“ in Köln wird sehr viel Geduld aufbringen müssen.

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