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Hans-Jürgen Kupka

Der ÖRR kann mehr

Kultur pur ab 21 Uhr


Das Coronavirus hat große Teile der Gesellschaft lahmgelegt und dazu zählt auch der Kunst- und Kulturbereich. Fast alle Veranstaltungen sind abgesagt und ein Ende ist aktuell nicht in Sicht. Daher springen die elektronischen Medien ein, um Kultur und Bildung und weitere private und öffentliche Veranstaltungen per Livestream oder auch über die Programme zum Publikum zu bringen. Alle öffentlich-rechtlichen (und auch private) Anbieter haben spezielle Angebote online gestellt und auch den Mediatheken kommt eine besondere Aufgabe zu. „Durch Corona entstehen erhebliche Leerstellen im kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Der RBB tritt an, um diese gemeinsam mit den Kulturinstitutionen zu schließen“, sagte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger. „Wir gehen aktuell auf verschiedene Bühnen zu, um mit ihnen gemeinsam ihre Produktionen, sei es Theater, Oper oder Konzert, zu den Menschen in Berlin und Brandenburg zu bringen. Wenn das Publikum nicht mehr in die Häuser kann, bringt der RBB die Programme eben zum Publikum“ (dwdl.de 12.3.20). So hatte der RBB am 12. März die Aufführung von George Bizets „Carmen“, die eigentlich in der Berliner Staatsoper aufgeführt werden sollte, kurzerhand gestreamt und im Radio auf RBB Kultur übertragen. Den Livestream der Opernpremiere hatten 160.000 Zuschauer in der ganzen Welt abgerufen und zwei Tage später wurde die Oper im Dritten (RBB-) Programm um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Für das Fernsehen konnte mit 80.000 Zuschauern (und einer Quote von 3,7 Prozent) zwar keine große Reichweite erzielt werden, aber für eine Kulturinstitution war es ein Lichtblick und für die Kulturbürger ein Gewinn.


„Die Theater haben ihre Aufführungen vorbereitet. Wir haben die Möglichkeit, sie trotz Quarantäne zur besten Sendezeit sichtbar und hörbar zu machen. Diese Chance wollen wir in Zusammenarbeit mit den Künstlerinnen und Künstlern nutzen. Ich freue mich, wenn wir die Möglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks so unmittelbar zur Unterstützung anbieten können.“ Insgesamt plant der RBB in den kommenden Wochen nach eigenen Angaben eine „breit angelegte Offensive, um die Lücken, die der Corona-Virus im gesellschaftlichen Leben hinterlässt, zu füllen“. Denkbar seien Sendungen aus Museen, von Sportveranstaltungen oder Diskussionsrunden, aber auch aktuelle Inszenierungen und Konzerte (dwdl.de).


Insbesondere dem ÖRR kommt in dieser Zeit eine besondere Aufgabe zu, verfügt er doch über große personelle und technische Ressourcen. Und an Finanzen stehen ihm jährlich rd. 10,7 Mrd. Euro (2018) zur Verfügung – davon 8 Mrd. Euro aus den Rundfunkbeiträgen. Nicht eingerechnet ist der Etat der Deutschen Welle von 326 Mio. Euro (2018), der über den Bundeshaushalt finanziert wird. „Wir tun, was wir können“, so die Intendantin des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger. „Unsere wichtigste Funktion ist in diesen Tagen definitiv, Orientierung zu bieten. Das bedeutet, Hintergründe zu erläutern, Informationen zu prüfen und sie verständlich weiterzugeben. Darum geht es im Wesentlichen, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann das leisten: Dafür sind wir einst geschaffen worden – als wesentliche Institution für das Funktionieren unserer Demokratie“ (FAZ 25.3.20).


Der ÖRR bietet den Menschen Familienprogramme, Kultur- und Bildungsangebote, so Schlesinger und damit können wir Zusammenhalt stiften, „quer durch alle Altersgruppen, gesellschaftliche Milieus und Religionen, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist in dieser Krise für alle da, muss für alle da sein. Wir wollen gerade jetzt ein „guter Freund“ für unsere Zuschauerinnen, Hörer, Nutzer sein, jemand, den ich gern zu mir hole, wenn es schwierig wird, wenn ich Trost benötige, aber auch, wenn ich eine gute Zeit oder einen guten Abend haben, mich zerstreuen oder unterhalten möchte“ (FAZ 25.3.20).


In dieser Ausnahmesituation wird der Informations-, Kultur-, Bildungs- und Unterhaltungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten von ARD und ZDF, Arte und Deutschlandradio revitalisiert werden können, wenn die Programmverantwortlichen die Chance wahrnehmen und den ör Charakter in den 19 Fernseh- und 77 Radio-Programmen zu mehr Geltung verschaffen. Die Menschen brauchen in der Corona-Krise mehr Informationen und Alltags-Ratgeber – die zum Teil sehr hohen Einschaltquoten zeigen dies deutlich. Es stellt sich nur die Frage, warum erst ein Virus durch das Land (sowie Europa und die Welt) wabern muss, um Intendanten und Programm-Direktoren an den ör Sendeauftrag intensiver zu erinnern. In dieser Zeit werden (fast) täglich zur besten Sendezeit Informations-Sendungen ausgestrahlt, die ARD-Tagesschau darf bis 20.30 Uhr senden (auch die 19-Uhr-Heute sendet länger) und die politischen Magazine der (ARD-) Sendeanstalten von „Report“ bis „Panorama“ werden von 21.45 Uhr auf 20.30 oder 20.45 Uhr vorgezogen. Auch aktuelle Reportagen werden gesendet. Und die Zuschauer/innen danken es mit hohen Einschaltquoten. Der ÖRR lebt und er nimmt den Sendeauftrag nun ernster als zuvor. Da seit rund zehn Tagen alle Film- und Serien-Produktionen eingestellt worden sind, wird der fehlende Nachschub auch für die seichten Programme in naher Zukunft bemerkbar werden. Diesen Umstand sollten die ör Verantwortlichen nutzen, um den seichten Anteil in den vielen Programmen zu reduzieren.


Der ÖRR ist ein großer Tanker, mit vielen (sinnvollen und seichten) Angeboten – aber er ist auch sehr unübersichtlich und für Zuschauer kann er zum Labyrinth werden. Die elf Intendanten und Programm-Direktoren von ARD und ZDF können dem Publikum und den Beitragszahlern umgehend beweisen, dass sie diesen Rundfunk-Tanker noch beherrschen. Wieso müssen neben den 19 Fernsehprogrammen noch eine Vielzahl von Einzelsendungen unterschiedlichster Art gestreamt werden? Dieses verursacht Kosten, Internet-Kapazitäten und Energie. Und welcher Bürger hat schon einen kompletten Überblick über all diese (guten) Zusatzangebote? Wäre es da nicht konsequenter, diese Angebote zu bündeln und zwischen 21 Uhr und Mitternacht (freitags und samstags bis 1 Uhr) auszustrahlen? Um Punkt 21 Uhr enden die Sendungen auf dem „KiKa“-Kanal für Kinder und Jugendliche.


An sieben Tagen in der Woche könnte der ÖRR „Kultur pur“ anbieten und das zur besten Sendezeit. Jeder Abend würde einen Schwerpunkt bilden und so könnten sich die (anspruchsvolleren) Zuschauer vom ör Fernsehen kulturell verwöhnen lassen. Das „Kultur pur“-Angebot könnte wie folgt aussehen: Oper, Operette, Klassik, Ballett am Sonntag; Rockmusik, Elektro und Klassiker am Samstag; Film anspruchsvoll am Freitag; Satire, Kabarett, Kleinkunst und Comedy am Donnerstag; Sendungen über Kultur, Literatur usw. am Mittwoch; Theateraufführungen am Dienstag; Dokumentarfilme am Montag. Ergänzungen und Variationen der Sendetage sind natürlich möglich. Mit dieser Strukturreform kann der ÖRR sehr deutlich machen, dass ihm die anspruchsvollen Sendungen (noch) am Herzen liegen und der ör Sendeauftrag wäre hier zu 100 Prozent realisiert. Damit hätte die Corona-Krise beim ÖRR einen Stein ins Rollen gebracht und es wäre für das Publikum ein kultureller Gewinn. Für ARD und ZDF sollte die Realisierung von „Kultur pur“ nun wirklich kein unmögliches Problem darstellen. Im Gegenteil, es wäre eine Sternstunde des ÖRR und für Kulturbürger wäre die Corona-Krise etwas leichter zu ertragen und die Kultur hätte den Virus medial ins Abseits gestellt. Der ÖRR lebt und er kann mehr – nur Mut.

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