FDP plant einen Untersuchungsausschuss und AfD klagt vor dem Bundesverfassungsgericht
Den zwei Fraktionen geht es um die Aufarbeitung der Flüchtlingskrise, doch ist der Erfolg der Initiativen sehr ungewiss (WELT 18.5.2018). Dabei lauten die Fragen: Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte die Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland ab dem 4. September 2015? Warum wurde der Bundestag bei dieser Entscheidung nicht einbezogen? Wer in der Regierung hat wann was beschlossen? Und wo liegen die Fehler beim Management der Migrationsbewegungen? Auch nach zweieinhalb Jahren stehen die Antworten noch immer aus. Beide Fraktionen waren damals nicht im Bundestag vertreten und versuchen nun auf unterschiedlichen Wegen die Flüchtlingskrise nachträglich aufzuarbeiten. Die FDP kündigte am Donnerstag (17.5.2018) an, einen Untersuchungsausschuss des Bundestags zu beantragen und die AfD stellte am Freitag (18.5.2018) die Begründung einer Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht vor, die sie vor einem Monat eingereicht hatte. Allerdings verfolgen beide Fraktionen unterschiedliche Ziele. „Der Untersuchungsausschuss soll nicht den Stab über Frau Merkel brechen, sondern Fehler der Regierungsarbeit identifizieren, um sie zügig abzustellen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann. Seiner Fraktion geht es also offenbar nicht um ein Merkel-Tribunal, sondern um eine Fehleranalyse.
Stephan Brandner, Justiziar der AfD-Fraktion, dagegen will mit der Klage in Karlsruhe eine „Herrschaft des Unrechts“ feststellen lassen. Überprüft werden soll nach dem Willen der AfD Merkels Entscheidung von Anfang September 2015, die Grenze von Österreich nach Deutschland für Flüchtlinge offen zu halten und die Menschen nicht abzuweisen. „Diese Klage wird die Welt verändern, wenn sie erfolgreich ist“, sagte Brandner. „In Nullkommanichts wäre Frau Merke weg. Sie müsste von sich aus sagen: ‚Leute, ich habe jahrelang offensichtlich versagt, wie die AfD das vorhergesagt hat. Entschuldigung, deutsches Volk.‘“ Die AfD hat vor allem Kanzlerin Merkel im Visier.
Ob es aber zu einer Verhandlung kommt, ist fraglich. Das Gericht hatte im April den Eingang der Klage (Aktenzeichen 2 BvE 1/18) bestätigt und nun wird geprüft, was eventuell Jahre dauern kann. Die Klageschrift umfasst mehr als 90 Seiten und wurde verfasst von dem Kölner Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau, der sich mit seinem Buch „Die Herrschaft des Unrechts“, für die AfD-Arbeit empfahl. Kern seiner Argumentation: Die Regierung habe bei ihrer Einwanderungspolitik die Mitwirkungsrechte des Bundestags verletzt, wie es in der Klagebegründung heißt. Nach der sogenannten Wesentlichkeitslehre des Bundesverfassungsgerichts dürfe die Regierung derart weitreichende Entscheidungen nicht im Alleingang treffen, sondern müsse den Gesetzgeber einschalten. Die AfD argumentiert, dass nach geltendem Recht jeder Asylbewerber aus einem sicheren Drittstaat an der Grenze hätte zurückgewiesen werden müssen. Mit ihrer Politik der offenen Grenzen habe die Bundesregierung eine neue Einwanderungspolitik begründet – das aber verletze Rechte des Parlaments. Denn schließlich seien die Abgeordneten für ein Einwanderungsgsetz zuständig.
Problematisch allerdings könnte sein, dass die AfD damals noch gar nicht im Bundestag saß. Kann eine Fraktion klagen, obwohl es sie zu dem kritisierten Zeitpunkt noch gar nicht gab? Es gehe um die Rechte des Bundestags als solche, sagte Vosgerau. „Wir machen Beteiligungsrechte des deutschen Bundestags geltend, wo es nicht auf die konkrete personelle Zusammensetzung ankommt.“ Auch der Zeitpunkt der Klageschrift könnte ein Zulässigkeitshindernis werden. Eigentlich muss ein Organstreit innerhalb von sechs Monaten, nachdem ein Missstand bekannt wurde, in Karlsruhe angezeigt werden. Die kritisierte Grenzöffnung liegt allerdings 2 1/2 Jahre zurück. „Die AfD-Fraktion des Deutschen Bundestags konnte erst ab dem 24. Oktober 2017 überhaupt Dinge zur Kenntnis nehmen“, heißt es aus der Partei.
Neben der Klage plant die AfD seit Monaten einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik. Zur Zeit arbeitet die Fraktionsvize Beatrix von Storch noch an der Zusammenstellung der Unterlagen. Man wolle den Antrag aber in Kürze einreichen, sagte Justiziar Brandner. Derweil kann sich seine Fraktion offenbar auch für den Vorstoß der FDP erwärmen. „Wenn die FDP den Untersuchungsauftrag ausdehnt bis 2014, sind wir die Letzten, die sagen, wir finden das nicht gut“, sagte der zweite Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Jürgen Braun. „Wenn die das Angebot machen, geben wir Beifall, wir unterstützen das, und da treten wir mit ein, selbstverständlich.“ Die FDP allerdings wird nicht aktiv um die Zustimmung der AfD werben, die von den Liberalen eine „völkische Partei“ genannt wird. Schon in der nächsten Sitzungswoche Anfang Juni wollen die Liberalen einen Antragsentwurf vorlegen, der dann mit den „seriösen Fraktionen“ beraten werden soll. Ob die AfD am Ende mitstimmt, heißt es bei den Freidemokraten, „müssen die selbst entscheiden“.
Allerdings ist für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses die Unterstützung eines Viertels der Abgeordneten (178) nötig. Die FDP verfügt nur über 80 und die AfD über 92. Somit müssten sechs Abgeordnete von GRÜNEN oder LINKEN gewonnen werdern und zwar damit, dass als Untersuchungsgegenstand zunächst Verfahrensmängel und Fehlentscheidungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtling (BAMF) in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn dass dort einiges nicht funktioniert, darüber sind sich alle Fraktionen einig. Allerdings will FDP-Chef Christian Lindner den Blick darüber hinaus bis ins Jahr 2014 zurück richten, um die damaligen Entscheidungen der Regierung transparent zu machen und „Verschwörungstheoretikern die Grundlage zu nehmen“, wie er es formulierte. Ob GRÜNE und LINKE die FDP unterstützen, ist doch zweifelhaft, haben sie die Regierungspolitik von Merkel damals mitgetragen. Ob also die offenen Fragen zur Flüchtlingskrise tatsächlich beantwortet werden, ist noch längst nicht entschieden. Im Interesse der Bürger, der Politiker und der Demokratie, wäre es sehr wünschenswert.
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