Die Ministerpräsidenten der 16 Länder stehen vor einer Herkulesaufgabe. Sie müssen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), seine Finanzierungsform und seinen Sendeauftrag reformieren – um ihn zukunftssicher zu machen. Doch seit Jahren blockieren sich Politik und Rundfunk gegenseitig. Der gordische Knoten der Medien-Politik ist offensichtlich unauflösbar: Wie Reformen einfordern, ohne die Rundfunkfreiheit anzugreifen? Inwieweit dürfen die Landes-Gesetzgeber ARD und ZDF trotz Programmautonomie vorschreiben, wofür sie das Geld der Beitragszahler ausgeben? Die Sendeanstalten pochen massiv auf ihren Auftrag der (derzeitigen) „Grundversorgung“ und ihre Programmautonomie. Danach sind direkte Eingriffe ins Programm untersagt, handelt es sich doch um einen staatsfernen Rundfunk. Aber: Mit (Spitzen-) Politikern in den Aufsichtsgremien und einzelnen Politikern, die auch direkt in die Führungsetagen der Sendeanstalten wechseln.
Nach einem Gutachten im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm (AG DOK) hat der Gesetzgeber schon heute weitreichende Eingriffsmöglichkeiten bei den 19 Fernseh-Programmen von ARD und ZDF, und gleiches gilt auch für die 76 Hörfunkprogramme. Laut Prof. Gersdorf hat der Gesetzgeber das Recht, „den Angebotsauftrag der Sendeanstalten dahin zu konkretisieren, dass sie schwerpunktmäßig in den Bereichen Information, Bildung und Beratung senden“ – dies sei sowohl für das System als Ganzes als auch für einzelne Programme möglich. Da sich in diesen Bereichen „die spezifische Schwäche des werbefinanzierten, privaten Rundfunks manifestiere“, entspräche er mit einer solchen Schwerpunktsetzung aus Sicht des Gutachters sogar „in besonderer Weise dem Vielfaltsgebot“ des Grundgesetzes. ARD und ZDF würden Unterhaltungs-Sendungen dabei nicht generell untersagt, daher sei auch der Charakter als Vollprogramm nicht berührt. Es kommt lediglich auf die Ausbalancierung der Programme an.
Weiterhin kommt Prof. Gersdorf zum Schluss, dass auch konkretere Festlegungen für die Programme möglich wären. So etwa die Vorgabe, dass beispielsweise Informations-Sendungen zu einem gewissen Anteil zu bestimmten Sendezeiten – also etwa im Hauptabendprogramm – gezeigt werden müssten. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat kein Grundrecht auf Quotenorientierung“. Und schließlich wäre es aus seiner Sicht auch vom Grundgesetz gedeckt, wenn der Gesetzgeber Vorgaben machen würde, dass das verfügbare Rundfunkbeitragsaufkommen überwiegend zur Finanzierung bestimmter Genres, also etwa Information, Bildung, Kultur und Beratung, aufgewendet werden müsse. Auch Teil-Sparten wie Dokus könnten dabei explizit mit Mindest-Budgets bedacht werden, ohne dass die Programmautonomie der Sendeanstalten verfassungswidrig beeinträchtigt würde. Ebenso müsste die ARD auf Kritik von Politikern und Medienexperten reagieren und die Sendezeit der 20-Uhr-Tagesschau erweitern – auf 20 oder sogar 30 Minuten.
Die Politiker können also den Gordischen Knoten zerschlagen und einen aktiven Beitrag zur Zukunftssicherung des ÖRR leisten. Das Ziel in der Medien-Politik muss ein rundfunkpolitischer Dreiklang sein aus: modernisierten und zeitgemäßen Programmauftrag, ausbalancierten Programmangeboten und -Strukturen und gesicherter Finanzierungsgrundlage im Rahmen der Wirtschaftlichkeit. Und ein reformierter Rundfunk darf auch alle Sparten anbieten. Aber, der ÖRR muss die Balance zwischen politisch-kulturell notwendigen Programmangeboten für die Meinungsbildung einerseits und der für die Meinungsvielfalt maximal notwendigen Anzahl von Programmen und Sendungen andererseits halten. Zu viele (Wiederholungs-) Programme und ein zu hoher Unterhaltungsanteil, insbesondere zu den Hauptsendezeiten, führen zu einem Überangebot und widersprechen den Grundsätzen von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Der ÖRR ist nur dem Gemeinwohl, nicht aber dem Popularitätswettbewerb und der Quotenmaximierung verpflichtet, zumal die gesamte Bevölkerung diesen Rundfunk finanziert, und zwar ungefragt, denn abstimmen durften die Bürger über dieses Thema nie.
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten von ARD und ZDF arbeiten im öffentlichen Auftrag für die Allgemeinheit (dem Eigentümer) und daher braucht er die Akzeptanz der Mehrheit seiner Bürger. Nur so kann er seinen Auftrag erfüllen und auch Angebote für unterschiedliche Minderheitengruppen anbieten. Die Rundfunk-Mitarbeiter sind Angestellte der Bevölkerung. Aber der Grundgedanke des ÖRR ist nicht die Erwerbstätigkeit, sondern die Verbreitung von Informationen und Meinungen, kulturellen und unterhaltenden Sendungen. Der öffentliche Rundfunk muss sich den gesellschaftlichen und technischen Veränderungen stellen und seine Angebote und seinen Sendebetrieb den Erfordernissen anpassen. Der ÖRR kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen und seine Probleme immer nur mit noch mehr Finanzmitteln lösen wollen. Geld allein löst keine (grundsätzlichen) Probleme. Zur Zeit hat der ÖRR jährlich rund 9,6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Das Verhalten und die Strategie der ARD/ZDF-Intendanten in puncto grundsätzlicher Reformen, ist nicht akzeptabel und schadet auf Dauer dem Rundfunk. Seit einigen Jahren dehnen die Intendanten den Rahmen ihrer Kompetenzen weitlich aus. Sie können nicht nach eigenem Ermessen den Grad von Reformen für den ÖRR selber bestimmen – auch nicht mit Unterstützung der Rundfunkräte. Da es sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Die aktuelle Strategie der Intendanten läuft am Ende darauf hinaus, die Rundfunknutzer und Beitragszahler für ihre Reformverweigerung ungefragt und gezielt einzuspannen. Das ganze wird unter dem Motto verbreitet, wenn die Landespolitiker nicht mehr Geld bewilligen (drei Milliarden Euro für vier Jahre), dann müssen wir vom Rundfunk leider Programme reduzieren oder sogar einstellen. Die Zuschauer bzw. Hörer von ARD und ZDF werden, mal direkt formuliert, für die Intendanten-Strategie auf eine (undemokratische) Konsum-Bürger-Rolle reduziert. Das ist für eine kulturelle Auseinandersetzung in einer funktionierenden Demokratie nicht hinnehmbar. Und schon gar nicht, das die Intendanten mit einer Verfassungsklage in Karlsruhe drohen.
Um den gordischen Knoten zu zerschlagen, grundsätzliche Reformen einfordern und gleichzeitig die Rundfunkautonomie nicht zu beschädigen, sollten die 16 Landes-Regierungen den Mut aufbringen und neue Wege bestreiten. Der große Wurf besteht darin, dass die Landes-Regierungen zwischen Politik und öffentlichen Rundfunkanstalten eine unabhängige Rundfunk-Stiftung (u.a. mit Medienexperten) zwecks Problemlösungen einrichten. Diese Stiftung nimmt Zielvorgaben bzw. den Reform-Rahmen der Politiker für eine grundsätzliche Reform entgegen, arbeitet konkrete Reformvorhaben aus und setzt diese mit den Sendeanstalten in gemeinschaftlicher und konstruktiver Arbeit in Einzelschritten zielgerichtet um. Mit den Sendeanstalten überprüft die Stiftung die Erfolge der einzelnen Reformschritte und wenn nötig, steht die Stiftung mit Beratung und konkreten Lösungen für Nachbesserungen den Sendeanstalten hilfreich zur Seite. Die Mitarbeiter von ARD und ZDF werden aktiv in die Reformarbeiten eingebunden.
In den Stiftungsrat entsenden die Bundesländer insgesamt 16 Vertreter aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung und Gewerkschaften (für die festangestellten und freien Mitarbeiter des ÖRR). Darüberhinaus entsenden die Bundesländer 16 Bürger als Vertreter der Zuschauer und Hörer von ARD und ZDF. Diese Vertreter können über die Erwachsenenbildung, Vereine und Medien-Organisationen ermittelt werden. Der Stiftungsrat übt die Kontrollfunktion über die Stiftungs-Geschäftsleitung aus und beteiligt sich, in Form von Gesprächen und Fachdiskussionen mit Bürgern, der Zivilgesellschaft und den ÖRR-Mitarbeitern an Lösungen für grundsätzliche und nachhaltige Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das gemeinsame Ziel ist ein qualitativ-hochwertiger ÖRR, der seinem Informations- und Kultur-Auftrag (auch mit Unterhaltung) umfassend gerecht und von der Gesellschaft akzeptiert und finanziert wird. Ein Rundfunk, der gesichert den Erfordernissen in Gegenwart und Zukunft in allen Bereichen gerecht wird – für seine Bürger und die Demokratie.
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