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Hans-Jürgen Kupka

Gutachten: RBB-Intendantin-Wahl ist „rechtswidrig“


Benjamin Ehlers und Ulrike Demmer - Vertragsunterzeichnung | Bild: rbb/Claudius Pflug


Die Wahl der neuen RBB-Intendantin am 16. Juni 2023 in Potsdam stand unter keinem guten Stern – für Beobachter war es eine Chaos Wahl. Auch der gesamte Weg zum Wahltag mit Auswahl der Kandidaten war mit Stolpersteinen gepflastert. Die regionale Sendeanstalt stand wieder mit negativen Schlagzeilen zum x-ten Mal im Mittelpunkt aller Medien. Und nun hat ein juristisches Gutachten gravierende Mängel bei der Wahl der Intendantin Ulrike Demmer festgestellt. Der entscheidende Wahlgang hätte demnach nicht stattfinden dürfen. Das Gutachten von einem Experten für Medienrecht im Auftrag der rbb-Mitarbeitervertretungen kommt zu dem Schluss, dass "nur eine Neuwahl den eingetretenen rechtswidrigen Zustand beheben kann".


Am Donnerstag (28.9.23) teilte ein Sprecher des rbb mit: "Der Sender hat keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl von Ulrike Demmer. Die Wahl wurde unter Anwesenheit der Rechtsaufsicht durchgeführt, die ebenfalls keinerlei Beanstandungen geäußert hat." Die Rechtsaufsicht des Rundfunks Berlin-Brandenburg liegt bei den beiden Ländern. Intendantin Demmer teilte rbb24 mit, dass das gesamte Wahlverfahren von starken Emotionen begleitet worden sei. "Es ist richtig, wenn damit zusammenhängende Rechtsfragen nüchtern geprüft werden. Ich habe einen transparenten und konstruktiven Dialog versprochen und begonnen. Diesen Weg werde ich mit dem rbb auch weitergehen, um das Beste für unsere Zuschauerinnen und Zuschauer zu bewirken." Der rbb dürfe nicht erneut zum Stillstand kommen.


Das Rechtsgutachten von Marcus Schladebach, Professor für Öffentliches Recht und Medienrecht an der Universität Potsdam, kommt zum Ergebnis, formelle Fehler seien bereits bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen passiert und die Bewerbungsschreiben seien unter Zeitdruck eingesehen worden. Übliche Standards zur besseren Vergleichbarkeit des Kandidatenfelds wurden ignoriert und dies habe das Recht auf Chancengleichheit von allen 45 Bewerbern zunichte gemacht. Weiter wird bemängelt, dass fünf Personen, die in eine engere Auswahl gezogen wurden, nicht durch externe Experten überprüft worden seien. Für eine "so hochrangige Position wie die rbb-Intendanz" hätte dies geschehen müssen. Auch bei den Bewerbungsgesprächen seien formelle Fehler gemacht worden. Etwa, weil ein vorher erarbeiteter Fragebogen nicht verwendet worden sei. Die Verantwortung für diese Fehler sieht das Gutachten beim Vorsitzenden der Findungskommission, einer sechsköpfigen Gruppe, die dem Rundfunkrat eine Auswahl der besten Kandidaten und Kandidatinnen präsentieren sollte. Geleitet wurde die Findungskommission von Oliver Bürgel, der seit diesem Jahr auch den Vorsitz des Rundfunkrats inne hat.


Fehler beim Bewerbungsgesprächen machte auch Benjamin Ehlers, er ist seit April 2023 neuer Vorsitzender des rbb-Verwaltungsrats. Ehlers habe während des Bewerbungsverfahren einen Kandidaten unzulässigerweise nach seinen Gehaltsvorstellungen gefragt. Dies hätte aber erst nach einer Wahl durch den Rundfunkrat besprochen werden dürfen – aber nicht vorher. Ehlers Verhalten sei eine "Kompetenzüberschreitung" gewesen, so der Gutachter. Daran ändere auch nicht, dass Ehlers vom Vorsitzenden der Findungskommission, Bürgel, mit diesem Schritt beauftragt worden sei. Die gesamte Findungskommission hätte dieses Vorgehen autorisieren müssen, dieses geschah aber nicht. Ehlers hatte den Kandidaten abgelehnt, obwohl dies nicht in seiner Zuständigkeit lag und er hatte es dem Kandidaten auch nicht persönlich mitgeteilt. Stattdessen hatte der Bewerber, Programmdirektor Jan Weyrauch von Radio Bremen, einen Tag vor der Intendantenwahl aus der Presse von seiner Ablehnung erfahren. Dies mache Ehlers "für die Leitung dieses wichtigsten Aufsichtsgremiums des rbb dauerhaft untragbar", so die Einschätzung von Prof. Schladebach.


Der schwersten Vorwurf des Gutachtens ist aber, dass die entscheidende Abstimmung bei der Wahl nicht rechtmäßig gewesen sei. Frau Demmer erhielt erst im 4. Wahlgang die notwendige Zweidrittelmehrheit von 16 Stimmen, bei 24 anwesenden Personen. In einer dritten Abstimmungsrunde gelang dies nicht, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt die letzte verbliebene Gegenkandidatin bereits zurückgezogen hatte. Anschließend hatte ein 25. Mitglied des Rundfunkrats die Tagung verlassen, bevor der 4. Wahlgang stattfand. Dazu heißt es im Gutachten: "Ist jedoch nur eine Kandidatin verblieben und erhält sie im allein von ihr bestrittenen 3. Wahlgang nicht die erforderliche Mehrheit, so ist ihre Wahl gescheitert. Die Ansetzung eines 4. Wahlgangs ignoriert eine getroffene demokratische Entscheidung."

Die Vorsitzenden von Rundfunkrat und Verwaltungsrat, Oliver Bürgel und Benjamin Ehlers, seien "zwingend abzuberufen und durch fachlich kompetente und im Öffentlichen Medienrecht ausgewiesene Experten zu ersetzen". Zudem sollte die Zusammensetzung des Verwaltungsrats kritisch überprüft werden. Die Pressestelle des rbb geht hingegen davon aus, dass die Intendantinnenwahl rechtmäßig war. "Nach erster Durchsicht erkennt der rbb allerdings weder neue Argumente oder neue Aspekte, vielmehr ergeben sich bereits jetzt ernsthafte Zweifel an der juristischen Haltbarkeit der dort gefundenen Ergebnisse", teilte ein Sprecher mit. "Der Ton trägt nicht zur Versachlichung der Debatte bei, sondern arbeitet bewusst mit Zuspitzungen und Polemik, das wird weder der Sache noch dem rbb helfen."


Sehr kritisch betrachtet das Gutachten auch einen Brief von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) an die Mitglieder des Verwaltungsrats, der am Tag der Vorstellung der Bewerber im Rundfunkrat versandt worden war. Darin wird angemahnt, "die Hinweise der Rechnungshöfe zur Begrenzung der Vergütung der künftigen Intendanz bei der Neubesetzung zu prüfen und zu berücksichtigen". Konkret ging es um die Deckelung des Intendantengehalts auf 180.000 bis 220.000 Euro. Mit einer Gehaltsreduzierung von 295.000 Euro (Vorgängerin Katrin Vernau) war zum Zeitpunkt Kandidatin Demmer einverstanden. Der Woidke-Brief stelle einen Versuch der Einflussnahme auf die Kandidatenauswahl dar und sei als "Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Staatsferne zu beurteilen". Und zwar unabhängig davon, ob dieser Bitte am Ende nachgekommen wurde. Woidke habe "kompetenzwidrig" den Landesparlamenten von Brandenburg und Berlin vorgegriffen. Den Vorgang wollte die Staatskanzlei in Potsdam nicht beantwortet und eine Sprecherin der Berliner Senatskanzlei teilte mit, dass man sich in der Sache nicht äußern könne, da man das Gutachten nicht kenne. Das Gutachten kritisiert auch die fehlende Staatsferne mit Blick auf die Beschäftigungsbiografie von Ulrike Demmer. Sie war von 2016 bis 2021 stellvertretende Sprecherin der Merkel-Regierung und gilt als SPD-nah. Nach Einschätzung von Prof. Schladebach fehle ihr dadurch die gebotene Staatsferne und daher sei ihre "unverzügliche" Abberufung notwendig.


Sabine Jauer, die rbb-Personalratschefin, betonte gegenüber rbb24, dass die Mitarbeitervertretungen überprüfen lassen wollten, ob ihre Beteiligungsrechte im Wahl- und Findungsverfahren gewahrt worden seien. Deswegen sei das Gutachten in Auftrag gegeben worden. Im Laufe dieses Verfahrens hätten die Mitarbeitervertretungen, die auch in der Findungskommission vertreten waren, Kritik an deren Arbeit geäußert. Man sei damit aber nicht durchgedrungen und habe zunehmend das Gefühl gehabt, "als Feigenblatt missbraucht zu werden". Man habe mehrfach überlegt, die Mitarbeit in der Kommission aufgrund der Mängel zu beenden, so Jauer. "Was uns abgehalten hat: Dann hätten wir überhaupt keine Chance der Mitsprache und Mitwirkung mehr gehabt“ (rbb24).


Ob es nun zu einer Neuwahl der Intendantin kommen wird, steht im Berliner und Brandenburger Sternenhimmel. Die rbb-Senderleitung hat offenkundig kein Interesse daran, man ist noch immer mit der Beseitigung der Brocken beschäftigt, die Ex-Intendantin Schlesinger im Funkhaus hinterlassen hat. So müssen in zwei Jahren 49,2 Mio Euro eingespart werden. Letztlich werden aber die Rechtsexperten der Landesregierungen entscheiden müssen, ob eine Neuwahl, auch mit neuen Kandidaten, stattfinden muss. Insbesondere Berlin hat hier aber reichlich Erfahrungen vorzuweisen. Das letzte Wort werden aber die Landesregierungen, Staatskanzlei und Senatskanzlei, haben – denn Medienpolitik ist Machtpolitik.

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