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Kinderstören im ARD-Programm


Carolin Kebekus in "Kinderstören" - Foto WDR/Ben Knabe


Die ARD-Programmdirektion wollte im ERSTEN einmal so richtig anecken und das ausge-rechnet beim TATORT-Publikum. Aber statt dem Krimi, lief am Sonntagabend um 20.15 Uhr eine Sondersendung. Darin ging es um Kinder - um ihre Sorgen und Zukunftsängste. Eine der Forderungen (von der WDR-Redaktion), Kinderrechte müssen ins Grundgesetz. Nach dem veränderten TATORT-Vorspann mit einem jungen Augenpaar und weglaufenden Füßen, die in Schuhen mit leuchtender Sohle steckten, ahnten die Zuschauer, hier hat die ARD eine Attacke auf das Publikum vor. Als dann auch noch die Kölner Comedian Carolin Kebekus ins Bild kam, war die Überraschung perfekt. Es gehe um "ein Thema, das Ihre Aufmerksamkeit betrifft. Ein Thema, für das ich meine Babypause unterbreche. Ein Thema, das uns alle betrifft", so Kebekus. "Wir müssen jetzt einfach mal über Kinder sprechen." Das Motto der kommenden 15 Minuten lautet: Wenn Kinder schon stören - wie man in der Gesellschaft häufig den Eindruck bekommt - dann wenigstens richtig: zur besten Sendezeit in der ARD am Sonntagabend. Auch verschiedene Social-Media-Kanäle der ARD wie „Sportschau“ oder „Tatort” wurden am Sonntag von Kindern „gestört“.


Und so übernahmen die Kinder dann auch schnell selbst das Kommando: als Moderatorinnen und Hauptdarsteller der bekanntesten ARD-Formate wie Morgenmagazin, Tatort, Sportschau, tagesschau und der Quizsendung "Gefragt - Gejagt". In den Kinderversionen der Sendungen wurden dann Themen angesprochen, die Kinder betreffen, bei denen es aus Kindersicht (bzw. der WDR-Redaktion) aber noch Defizite gibt. So ermittelten in der Kinderversion des Tatort die beiden Kommissare in einem Fall von Mobbing und riefen die Eltern auf, ihre Kinder nicht allein im Internet zu lassen. In der Sportschau prangerte die Kindermoderatorin den mangelhaften Zustand von Sporthallen und Schwimmbädern an. Und in der tagesschau gab es eine Live-Schalte in eine fiktive Kindertagesstätte, wo eine Kinder-Reporterin von den schlechten Betreuungsbedingungen berichtete, vom Personalmangel.


Kebekus kritisierte die Tatsache, dass die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland zwar seit 1992 gilt, die Kinderrechte aber immer noch nicht im Grundgesetz verankert sind. Dabei sei so wichtig, dass das endlich passiere, sagt Christian Schneider, Vorsitzender des Kinder-hilfswerks UNICEF. "Jedem wäre klar: Die Kinderrechte haben in Deutschland einen ganz besonderen Stellenwert und ich bin fest davon überzeugt, das würde das Zusammenleben für Kinder, aber auch für alle Erwachsenen im Land einfach besser machen", sagte er dem WDR.


Und auch die Moderatorin und das erwachsene Gesicht der "Programmstörung", Carolin Kebekus, sagt, die Kinder bräuchten mehr Aufmerksamkeit: "Es klingt wie eine Plattitüde, aber Kinder sind nun mal unsere Zukunft. Wir können uns als Gesellschaft nur positiv weiterent-wickeln, wenn wir den Kindern sehr viel Aufmerksamkeit geben und denen das Gefühl geben, dass sie eben gewollt sind und nicht stören", so Kebekus im WDR-Interview. Zum Ende der Sendung richteten die Kinder ihre Forderungen ganz klar an die Zuschauer: die Erwachsenen. Sie wünschen sich unter anderem sichere Schulwege, Chancengleichheit, sie wollen nicht mehr so übersehen werden wie in der Pandemie. "Wir wollen, dass ihr euch kümmert - und Süßigkeiten."


Die Aktion #KINDERstören von und mit Carolin Kebekus ist eine Initiative des WDR. Jörg Schönenborn, WDR-Programmdirektor Information, Fiktion und Unterhaltung: „Kindern eine Stimme zu geben und sie zum selbstbestimmten Handeln zu befähigen und zu ermutigen, ist uns schon immer ein großes Anliegen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Rechte von Kindern stärker in den Fokus zu nehmen, dazu wollen wir mit unseren Möglich-keiten und zahlreichen Angeboten im ÖRR beitragen.“ Produziert wurde die Sendung von der bildundtonfabrik (btf GmbH) in Zusammenarbeit mit der Unterhaltungsflotte TV GmbH im Auftrag des WDR für die ARD.


Die Kritik an der ARD-Aktion ist insbesondere in den Social-Media-Kanälen heftig. Auch am Dienstag reißen die Vorwürfe an der Mini-Sendung nicht ab. Kritisiert wird die einseitige Aus-wahl der Themen (es fehlte die Themen Corona/Schule und nackte LGBT-/Pride-Menschen auf den Straßen) und ganz besonders die Person Kebekus. Ihr wird das Thema Kinderrechte nicht abgenommen, da sie sich in den letzten Jahren gegenteilig geäußert hat. „Ich habe ja (mit 40 Jahren) keine eigenen Kinder, deswegen kann ich ja ziemlich cool sein und sagen: Leute, mir sind die Ressourcen der Erde wichtiger“. Der eigene Nachwuchs ist offensichtlich ein Vergehen an der Natur. Nun mit 43 Jahren hat Kebekus doch noch ein Kind bekommen und denkt noch um.


Gehören Kinderrechte ins Grundgesetz? Arche-Gründer Bernd Siggelkow plädiert dafür, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, damit vor allem benachteiligte Kinder stärker gehört werden. „Natürlich möchte ich als Gründer und auch Leiter einer Kinder- und Jugend-einrichtung die Rechte der Eltern innerhalb ihrer Familie nicht beschneiden. Unsere Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen, und deswegen sollten und müssen ihre Rechte gestärkt werden“ (FOCUS 31.7.2020). Kritiker sehen das ganz anders. „Experten einzelner Juristenverbände weisen eindringlich darauf hin, dass die Wächterfunktion des Staates gegenüber Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung – aus welchen Gründen auch immer – nicht wahrnehmen können oder wollen, bereits jetzt verfassungsrechtlich abge-sichert ist. Deren Umsetzung muss eher durch Veränderungen von Rahmenbedingungen verbessert werden als durch eine Ergänzung von Kinderrechten. Deutschland sollte auch nicht aufgrund der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 mit Ländern verglichen werden, in denen bisher nicht einmal Menschenrechte geachtet werden und Kinder aus diesem Grund ganz offensichtlich dringend erweiterten, rechtlichen Schutz benötigen (FOCUS 31.7.2020).


Die Forderung, „die Lufthoheit über den Kinderbetten zu erobern“, die Olaf Scholz 2002 angesichts des Ausbaus der Kinderbetreuung geäußert hat, ist noch vielen Bürgern präsent. „In Norwegen sind Kinderrechte schon länger gesetzlich verankert. Neben den positiven Folgen resultiert daraus leider auch die Zunahme von Inobhutnahmen durch die Kinder-schutzbehörde „Barnevernet“, und es wird vermehrt in Familien eingegriffen und Kinder auf-grund nicht oder kaum nachvollziehbarer Gründe von ihren Eltern getrennt. Hier geht es nicht um die von der UN geforderten Grundrechte für Kinder, die bereits in unserem Grundgesetz verankert sind, sondern um die zum jetzigen Zeitpunkt für uns nicht abschätzbaren Folgen, die ein weiter verstärkter Einfluss des Staates mithilfe der Kinderrechte auf das Familienleben in unserem Land haben könnte. Dass dann auch intakte Familien durch ein gezieltes Aus-hebeln der Elternrechte betroffen sein könnten, ist nicht auszuschließen“, es ist problematisch (FOCUS 31.7.2020).


Die Situation vieler Kinder ist problematisch: Rund 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland leben in Armut, insbesondere in Migranten-Familien (starke Zunahme). Viele Familien beziehen Bürgergeld, sind arbeitslos und haben selten eine Ausbildung. Die Schul-leisten ihrer Kinder sind gering und viele haben Sprachprobleme. In Deutschland fehlen rund 430.000 Kita-Plätze und Fachpersonal – gleiches gilt für die Schulen.


Es stellt sich die Frage, warum der ÖRR, die ARD (und das ZDF), trotz Sendeauftrag, kein wöchentliches/monatliches gesell.-pol. Kinder- u. Eltern-Magazin im Programm hat. Warum keine gro. Infor.- u. Dialog-Sendung zB am Montag in einer Länge von 90 oder 120 Minuten, statt der unbeliebten hartaberfair Sendung mit Klamroth? Warum diese populistische Mini-Sendung mit Überschriften und Anklagen? Die ARD verweist auf betr. Kinder-/Eltern-Sendungen in der Mediathek, doch wie viele ör Nutzer werden davon wohl Gebrauch machen?


Dazu die ARD-Pressestelle München: „In dem Fall ging es nicht darum, ein wichtiges Thema in 15 Minuten abzuhandeln, sondern vielmehr in überspitzter, satirischer Art einen Impuls zu setzen. Das Video ist Teil einer größeren Aktion. Mit der Aktion #KINDERstören wollten wir nicht nur auf Missstände aufmerksam machen, sondern auch auf eine umfangreiche Sammlung von ARD-Dokus und -Reportagen zu genau diesen und weiteren Themen in der ARD Mediathek hinweisen, die jederzeit um weitere Inhalte ergänzt werden kann. Zudem sammelt die verantwortliche Redaktion die vielen interessanten Beiträge des Publikums, die auf diesen Impuls hin eingetroffen sind. Eine weitere nachhaltige Beschäftigung mit dem Thema ist in verschiedenen Formaten vorgesehen.“ Und weiter: „Wir können uns gut vorstellen, auch zukünftig für wichtige Themen unübliche programmatische Wege zu gehen. Aktuell ist aber keine weitere vergleichbare Aktion geplant“, so die ARD-Sprecherin.


Das Video #KINDERstören ist ab sofort in der ARD Mediathek abrufbar – die Inhalte der Sammlung sind dort mit diesem Video verlinkt. Unter www.kinderstoeren.de ist der Clip selbst zu finden.


Und wie der Zufall es will, sind unter den Sendungen zum Thema Kinder auch div. Ausgaben der „Carolin Kebekus Show“ aufgelistet worden. Im ARD-Nachtprogramm am Donnerstag, erreicht diese Show-Reihe eine Quote von rd. 2%. Carolin Kebekus wollte also ganz nebenbei auch noch auf ihre eigene Show-Reihe aufmerksam machen. Ist das wirklich eine kluge Idee WDR? Haben die Kinder das verdient?


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